Keine neuen Fachkräfte in Sicht – und die bestehenden wollen auch noch gehen? Im Bauwesen herrscht akuter Handlungsbedarf: Während Unternehmen händeringend nach qualifizierten Fachkräften suchen, steigt gleichzeitig die Wechselbereitschaft der bestehenden Belegschaft. Die Frage ist: Wie halte ich die richtigen Mitarbeitenden – und mit welchen Strategien gewinne ich sie für die Zukunft?
Fachkräftemangel & Fluktuation im Bauwesen
Der Fachkräftemangel in Deutschland hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft. So heißt es in der Brancheninfo Bau zur baukonjunkturellen Lage: „Im Rahmen der DIHK-Umfrage im Herbst 2024 sehen 65 % der Befragten im Fachkräftemangel ein Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ihres Bauunternehmens.
Gleichzeitig zeigt der aktuelle Gallup Engagement Index 2025, dass jeder zweite Beschäftigte in Deutschland innerhalb eines Jahres einen Jobwechsel erwägt. Für die Baubranche, die ohnehin unter massiven Personalengpässen leidet, ist diese Kombination aus Mangel und Abwanderung besonders gefährlich.
Um Antworten auf die drängendsten Fragen zu finden, haben wir unsere zwei Expertinnen, Claudia Scherrer und Christine Fiedler, von BIMity-People befragt. In einem exklusiven Interview geben sie Einblicke, welche Kernkomponenten Unternehmen beachten müssen, um Mitarbeitende zu gewinnen, zu binden und langfristig zu halten.

Claudia Scherrer ist seit vielen Jahren als Coachin für Führungskräfte tätig und hat sich auf das Thema Kündigungen und Mitarbeiterbindung spezialisiert. Sie weiß, warum Mitarbeitende kündigen, welche Warnsignale man ernst nehmen sollte – und wie Führungskräfte mit klugen Gegenangeboten und echter Wertschätzung High Performer im Unternehmen halten können
Christine Fiedler ist HR-Prozess-Expertin mit langjähriger Erfahrung in der Gestaltung von Personal- und Organisationsstrukturen, insbesondere in mittelständischen Unternehmen. Ihr Fokus liegt darauf, wie klare Prozesse und Strukturen – von Onboarding über Feedbackgespräche bis hin zu Wissensmanagement – dafür sorgen, dass Mitarbeitende nicht nur bleiben, sondern auch motiviert sich selbst und die Unternehmen weiterentwickeln.
Gemeinsam beleuchten die beiden Expertinnen das Thema aus zwei Perspektiven: menschlich und prozessual. So entsteht ein praxisnahes Bild, das zeigt, worauf es wirklich ankommt.
Wege aus der HR-Krise
Frau Scherrer, warum verlassen Mitarbeitende ihre Arbeitgeber – gerade auch in stabilen Branchen wie dem Bauwesen?
Claudia Scherrer: Kündigungen passieren oft nicht wegen des Gehalts, sondern wegen mangelnder Wertschätzung, schlechter Stimmung im Team oder fehlender Entwicklungsmöglichkeiten. Das sind die wahren Kündigungsgründe, und hier müssen Führungskräfte ansetzen.
Wie erkenne ich frühzeitig, dass Mitarbeitende über einen Wechsel nachdenken?
Claudia Scherrer: Erste Hinweise sind, wenn jemand häufiger krankgeschrieben ist, sich weniger im Team einbringt oder Distanz zum Arbeitsplatz aufbaut. Wichtig ist: nicht abwarten, sondern frühzeitig ins Gespräch gehen.
Was können Führungskräfte konkret tun, um High Performer zu halten?
Claudia Scherrer: Ein individuelles Gegenangebot machen – angepasst an die Bedürfnisse. Mehr Gehalt allein reicht selten. Oft sind Weiterbildungen, Mentoring-Programme oder neue Projekte der Schlüssel. Wenn die Unternehmenskultur nicht passt, muss hier dringend nachjustiert werden
Frau Fiedler, Sie beschäftigen sich intensiv mit HR-Prozessen. Welche Rolle spielen diese beim Halten von Mitarbeitenden?
Christine Fiedler: Sehr große. Prozesse schaffen Verlässlichkeit und Transparenz. Mitarbeitende wollen wissen, dass es klare Wege für Entwicklung, Feedback und Karriereplanung gibt. Fehlende Strukturen führen dagegen schnell zu Frust.
Welche Prozesse sind besonders wirksam im Bauwesen?
Christine Fiedler:
- Onboarding-Prozesse, die neue Fachkräfte nicht nur fachlich, sondern auch kulturell integrieren.
- Feedback- und Entwicklungsgespräche mindestens halbjährlich, um individuelle Perspektiven zu klären.
- Strukturiertes Wissensmanagement, damit Erfahrungswissen nicht verloren geht, wenn jemand das Unternehmen verlässt.
Welche Unternehmen sind hier besonders erfolgreich?
Christine Fiedler: Es sind jene, die HR nicht nur als Verwaltung, sondern als strategischen Erfolgsfaktor begreifen. Prozesse allein reichen nicht – sie müssen mit echter Wertschätzungskultur kombiniert werden.
Warum glauben Sie, ist die Fluktuation in vielen Unternehmen im Bau so hoch?
Christine Fiedler: Viele Bauunternehmen sind mittelständisch geprägt und verfügen oft über kein professionelles HR-Management. Personalthemen laufen dann „nebenbei“ – beispielsweise bei einem Bauzeichner oder einer Verwaltungskraft. Dadurch gehen wichtige Aspekte wie strukturierte Kommunikation, Feedback oder Entwicklungswege unter. Das Ergebnis ist bei den Mitarbeitenden häufig das Gefühl von mangelnder Wertschätzung und fehlender Professionalität – ein zentraler Treiber für Fluktuation.
Wie unterstützt BIMity-People in diesem Prozess?
Christine Fiedler: Zum einen unterstützen wir Unternehmen gezielt bei der Suche nach passenden Mitarbeitenden. Darüber hinaus legen wir besonderen Wert darauf, Organisationen nachhaltig in ihrer Entwicklung zu stärken – indem wir sie beim Aufbau und der Optimierung interner HR-Prozesse begleiten.
Dabei kombinieren wir individuelle Beratung vor Ort mit einem von uns entwickelten E-Learning-Kurs, der es Unternehmen ermöglicht, ihre Mitarbeitenden flexibel und praxisnah weiterzubilden. So schaffen wir Strukturen, die nicht nur kurzfristig helfen, sondern langfristig Wirkung zeigen.
Fazit
Der Fachkräftemangel im Bauwesen wird sich in den kommenden Jahren nicht entspannen. Unternehmen, die jetzt auf gezielte Mitarbeiterbindung und klare HR-Prozesse setzen, verschaffen sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Denn eines ist klar: Wer seine besten Leute nicht verliert, muss weniger neue suchen.
Quellen:
Interviews Claudia Scherrer & Christine Fiedler
Lena Onderka (2025): Gallup: Emotionale Mitarbeiterbindung erneut auf Tiefstand, personalwirtschaft.de, 13.03.2025
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (2025): BAUKONJUNKTURELLE LAGE, bauindustrie.de, 29.01.2025